Die große Veraschwendung „He“ sagte ich. ....„wenn Sie´s tun, erfinden Sie´s dann irgendwie, oder ist das bloss, naja, was so passsiert ?“   „Weder noch“
Martin Amis. Gierig (1984) Deutsch 1991 in 'Wien


Klett-Cotta, Roman

Der Hinweis auf dem Titelblatt ist allzu deutlich, die Hamburger Elbphilharmonie und der Bezug
zu bremer Unsinnsprojekten wie Space-Spass-Park und dem Musicaltheater werden im Roman anhand der maritimen Oper mit angeschlossener Seaworld fast als Satire durchgespielt.
Protagonist ist der Wirtschaftssenator Dr.Glabrecht von den Grünen, Bezüge zur bremer Wirklichkeit der letzten Jahre und Aktualität können  ohne weiteres hergestellt werden. Die Zutaten zum Politskandal, wie im Klappentext des Verlages genannt, sind reichlich vorhanden. Das Ganze wird natürlich immer teurer und von Bremen bezahlt, der Gewinner ist eine obskure Firma  Nordic Urban Development, Sitz auf den Bahamas.
Doch  die Dinge stimmen nicht, alles ist merkwürdig verrückt, die Farbe des Himmels türkis mit  rosa angeleuchteten Wolken, eine überdimensionierte Zeitung mit Textbrocken, die nicht zum Bild der Elbphilharmonie passen, ein Leser, der zur Seite guckt. UngewöhnlichesWetter in Bremen, das Ende des Buches in der Heimat des Senators im Herbst mit den fallenden Blättern, fast Kitsch, vielleicht augenzwinkernd.
Der Gegensatz von Natur und Kultur, beiläufig als Gegenstand einer Tagung erwähnt, wird in den vorhandenen Figuren deutlich und führt zu widersprüchlichen Handlungen. Die äußere Wirklichkeit, der Kulturbetrieb werden in ihrer völligen Sinnlosigkeit dargestellt. Maritime Oper, Sea-World, Crossover-Bespielung, Städtekonkurrenz, Image , Events, Kreativorte, Science-Center, Entertainment-Cluster, alles aus dem Text, münden in der Aussage, „bereits das bloße Wort „Kultur“ der denkbar größte Sprachmüll, vollkommen inhaltslos, um beim Wähler und Konsumenten jeden beliebigen Zweck zu erreichen. “Glabrecht durchschaut durchaus diesen Betrieb, spielt zynisch mit, der kaputt gesparte Verwaltungsapparat, der sein eigenes Hochbauamt aufgelöst hatte und seitdem glauben musste, was Bauinvestoren ihm erzählten, ohne eigene Recherchen anstellen zu können.

Das Wirtschaftsressort hingegen konnte allenfalls die neuesten Sonderangebote von Aldi, Lidl,Tchibo und Saturn recherchieren, aber niemals ein global agierendes Geschäftsnetzwerk aufdecken. Als die Verwaltungsleitung die Websiten sperren wollte, hatte Glabrecht sie ausgebremest. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten nicht ihren letzten Lebenssinn verlieren.
Dem Autor ist eine Sprachkritik gelungen, die   Konfuzius´  Ausspruch: “Wenn die Begriffe nicht richtig sind, so stimmen die Worte nicht; stimmen die Worte nicht, so kommen die Werke nicht zustande.“ aufnimmt. Eine Maxime, der sich der große Kritiker Karl Kraus in seinem Lebenswerk widmete. 
Das zweite große Thema des  Romans, die innere Welt und Wirklichkeit der Figur Glabrecht , die auf der Suche nach dem Glück scheitert. Es gibt eine Realität des Romans, die aus der rein subjektiven Darstellung der Außenwelt und der inneren Konstellation Glabrechts entsteht. Beziehungen zu anderen Menschen sind hohl, deutlich die Entfremdung zu den Mitarbeitern, diese werden mit Buchstaben benannt. Deutlich auch die Entfremdung zum Ehepartner, der erloschenen Liebe, die  Hoffnung auf neues Glück mit einer jungen Frau, die hier als Assistentin der  Leitung der o.a. Nordic Urban Development auftritt. Das Scheitern ist programmiert. Der sinnlose Drang der menschlichen Natur, hier wesentlich über Sex vermittelt, die Suche nach Schönheit oder Macht im Partner  lassen das Buch im  Pessimismus enden. Der Autor selbst nennt dieses Genre Schwermutsliteratur, wir können es als Bekenntnis des Autors auffassen, schon frühere Figuren aus seinen Kurzgeschichten scheitern an der Sinnlosigkeit des Lebens.
Immerhin schafft Literatur eine neue Wirklichkeit in uns, auf die wir uns einlassen können. Ein Zauber, egal ob aus Fakten oder Fiktion genährt.

Wilfried Grünhagen, 31.März 2010

Klett-Cotta
Roman
19,95 EUR
gebunden mit Schutzumschlag
1. Aufl. 2011, 239 Seiten,gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-93903-3