Buchempfehlung:
 

DIE LOBBYISTEN
Wer regiert uns wirklich?
 
PATMOS-VERLAG,2007
 

Der in Bremen lebende Autor Johann-Günther König liefert eine aktuelle,faktenreiche,hintergründige Geschichte des Lobbyismus,die auch die Gegenwart ausführlich analysiert und Ausblicke in die Zukunft gewährt. Sein vorweggenommenes Fazit:“Bleibt die Frage nach dem historischen Subjekt einer den Kapitalismus transformierenden oder über ihn hinausweisenden Veränderung. Die professionellen Lobbyisten sind es nicht.“
Ich habe mich als neugieriger Laie das erste Mal mit dem Thema „Lobbyismus“beschäftigt und erinnere mich an meine Anfangsmeinung vor Beginn der Lektüre,die sich wohl weitgehend mit den Bürgern dieses Landes deckte,die das Berufsbild des Lobbyisten verbinden mit der Auffassung,dass dieser ein mit Geldkoffern ausgestatteter,undurchsichtiger Strippenzieher sei,der auf fragwürdige Weise und wenig Vertrauen erweckend,für zweifelhafte Interessen einsteht,die in der Regel nichts Gutes verheissen. Schuld daran sind u.a. die weithin bekannten Spendenaffären,bei denen als Lobbyisten klassifizierte Berater versucht haben,politische Entscheidungen zu kaufen. Womit ich nicht gerechnet habe,ist folgende Äußerung von Ludwig Erhard,der 1963 dem damals 87 jährigen Konrad Adenauer als Kanzler folgte: der bezeichnete die Lobbyisten als „Geschmeiß“und die immer zahlreicher werdenden Interessengruppen als „Geschwür,das in unserer Gesellschaft schwärt.“
Um aber zu einer neutraleren Definition zu kommen: Professionelle Lobbyisten und deren Mitarbeiter dienen ihren Auftraggebern als politische Netzwerker,Informationsbeschaffer,Strategie- und Kampagnenberater,Gesetzgebungsexperten und diplomatisch versiegeltes Sprachrohr. Sie verfügen über eine hervorragende Ausbildung und wirken rund um die Uhr und an all den Orten,wo Regierungen,Ministerien,Parlamente und Politiker zu finden sind. Gerade auf den immer unüberschaubareren und risikobehafteten Problemfeldern wie etwa der Gentechnologie oder dem Klimaschutz –die zudem im nationalen Alleingang nicht mehr beherrschbar sind-,ist die Politik dazu übergegangen,nicht viel mehr zu tun,als unter den vielen Expertisen und Vorschlägen der lobbyierenden Experten bzw. deren Auftraggebern eine Auswahl zu treffen.
Erfolgreiches Lobbying versteht es,das Einfließen der jeweils vertretenen Partikularinteressen und Forderungen in allgemein verbindliche politische Entscheidungen so unauffällig zu bewerkstelligen,dass sie wie eine normale regierungspolitische Maßnahme zur Förderung des allgemeinen Wohls erscheinen oder zumindest als dringend erforderliche „Reform“.
Der Beruf der Lobbyisten oder des Lobbyisten ist insoweit in Deutschland amtlich anerkannt,als ihn die Bundesagentur für Arbeit unter der Gruppenbezeichnung „Tätigkeiten mit unterschiedlichen Qualifikationen“aufführt. In Stellenanzeigen wird allerdings höchst selten eine freie Position für „Lobbyisten“ausgeschrieben,denn die offizielle Sprachregelung der Wirtschaft kennt zwar Berater, Consultants, Referenten etc.; von Lobbyisten aber weiß sie nichts. König gibt ausdrücklich folgenden Hinweis: „In ihrer Funktion als Lobbyisten sind Menschen nun nicht als personale Subjekte,sondern –wie Marx es ausgedrückt hätte- als >Personifikation ökonomischer Kategorien<,als >Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen< anzusehen. Folglich sind sie nicht individuell für Verhältnisse verantwortlich zu machen,>deren Geschöpf sie sozial bleiben<.
Lobbyisten sind eine systemimmanente Begleiterscheinung des Wachstums- und profitgetriebenen kapitalistischen Wirtschaftssystems,das mittlerweile in fast allen Gesellschaften der Welt vorherrscht. Sie agieren im Sinne der von ihnen repräsentierten Partikularinteressen gegen oder für die ökonomische Ausbeutung und kulturelle Entfremdung,gegen oder für die soziale,ethnische und geschlechtsbezogene Ungleichheit.
Hauptberufliches wie ehrenamtliches Lobbying wird seit langem von einer unüberschaubaren Vielzahl unterschiedlicher Interessengruppen betrieben. Die voranschreitende Zersplitterung der Öffentlichkeit in unzählige kleine Teilöffentlichkeiten begünstigt diese Entwicklung. Zugleich schreitet der Konzentrationsprozess in der Wirtschaft voran,verliert in den grossen westlichen Demokratien das politische Versprechen der sozialen Beteiligungsgleichheit seine Glaubwürdigkeit. Freiheit,Gleichheit,Brüderlichkeit haben,so scheint es,keine Lobby.
Zwischen der Organisations-,Finanz-,Gestaltungs- und medialen Beeinflussungsmacht der sozialen Bewegungen und der von Industrie und Finanzdienstleistern sowie ihren arrivierten Verbänden und Denkfabriken bestehen erhebliche Unterschiede,Darüber hinaus ist der Grad der Vernetzung der wirtschaftlichen Interessenträger mit der Regierung,den Berufspolitikern der tonangebenden Parteien und den Verwaltungsspezialisten in den Ministerien entschieden ausgeprägter. Namhafte Politiker und Ex-Regierungsmitglieder zieht es signifikant häufiger auf die Lobbying-Positionen der Industrie- und Finanzwirtschaft,der Public-Affairs-Agenturen und auch der Krankenkassen und großen Wohlfahrtsverbände als auf die der sozialen und ökologischen Bewegungen. Weithin öffentlich wahrgenommene Macht,regierungspolitischen Einfluss,hohe Vergütungen und die problemlose Zugehörigkeit zur technokratischen Elite und deren Foren gewähren Globalisierung-,Industrie-oder rüstungskritische Interessengruppen,wenn überhaupt,nur in sehr eingeschränkter Form.
Thilo Bode ist sozusagen die Ikone der sozialen,ökologisch ausgerichteten,anti-globalisierungs-Bewegung. Seine folgende Einschätzung macht das deutlich: „Alle politischen Parteien stehen in der Verantwortung für das langfristige Wohl unserer Gesellschaft. Zumindest auf dem Papier bekennen sie sich auch zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen,zur ökologischen Nachhaltigkeit. Mit dem Leitbild eines bedingungslosen Wirtschaftswachstums konterkarieren sie jedoch dieses Ziel.“
Schätzungen zufolge wirken in der Bundesrepublik gegenwärtig etwa 50 000 Bürgerinitiativen sowie fast eine halbe Million (zum Teil als gemeinnützig)anerkannte Vereine. Die meisten von ihnen sind zwar nicht auf politisches Lobbying spezialisiert,immer mehr von ihnen nehmen aber –überwiegend kommunal orientiert- lose am System der organisierten Interessenvertretung teil.
 
In seinem Buch stellt Johann-Günther König in 11 Kapiteln das Phänomen des Lobbyismus kenntnisreich, informativ und gelegentlich literarisch erbaulich unterfüttert da. Zum Beispiel,wenn er den deutschen Dichter Hermann Löns sprechen lässt:
Das zweite Gesicht
Alles auf der Welt hat sein zweites Gesicht: Die Natur,die Kultur,die Religion,die Kunst
Die Politik,die Liebe,alles.Wer das nicht weiß,ist glücklich.Ich weiß es.
 
Wird nun notgedrungen unglücklich, wer sich dem „zweiten Gesicht“der Dinge und Verhältnisse zuwendet? Vielleicht. J.-G.König schreibt weiter: „Jedenfalls ist das zweite Gesicht unserer >einen Welt< in vielerlei Hinsicht alles andere als Glück verheißend. Und das hat –auch- mit dem Lobbyismus zu tun. Es hat zu tun mit dem Wirken und machtvollem politischen Einwirken von privatwirtschaftlichen Interessengruppen und deren Lobbyisten, die zwar nur eine gesellschaftliche Minderheit vertreten,die aber eine Finanz-,Gestaltungs- und Erpressungsmacht reklamieren und ausüben,die tendenziell die Demokratie aushöhlt. Im übrigen macht die Quersumme aller privatwirtschaftlichen Interessen keinesfalls das Höchstmaß des Gemeinwohls aus.“
 
Holger Mertins

Über den Autor
JOHANN-GÜNTHER KÖNIG
freier Schriftsteller, lebt in Bremen. Er studierte Sozialpädagogik, promovierte mit einer Studie zum Jugendbibliothekswesen und arbeitete bis 2001 als Manager für Unternehmen der Telekommunikation. Neben literarischen Reiseführern verfasst er Sachbücher zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen, u.a. »Börse« (2002) und »Finanzkriminalität« (2003).
Johann-Günther König ist Mitglied des Verbandes Deutscher Schriftsteller (VS); seit 2005 wirkt er als 1. Vorsitzender des VS-Landesverbandes Niedersachsen/Bremen.