Revolution auf dem Spielplan
oder Nachbemerkungen zu dem Stück
Marat-Was ist aus unserer Revolution geworden ?

 

Die theater-Werkstatt  der Hochschule Bremen hat dieses Stück vom 2.6.-6.6. im Concordia-Theater aufgeführt.Seit 1999  werden Theater-Projekte konzipert und der Öffentlichkeit vorgestellt.
Vorbild und Vorläufer ist natürlich das berühmte Stück von Peter Weiss mit dem langen und sperrigen Titel:
"Die Verfolgung und Ermordung Jean paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade."

Eines der meistgespielten Stücke in der Nachfolge von Brecht, allein von Weiss gibt es 5 Versionen. Es wird immer wieder verändert, aktuelle Bezüge werden hergestellt, im letzten Jahr erregte eine Aufführung in Hamburg Aufsehen und die pflichtgemäße Empörung der etablierten Politik von CDU und Grünen, weil Hartz 4-Empfänger mitwirkten und die Namen von Hamburger Millionären mit dem Wohnsitz vortrugen.

Ich werde noch auf literarische und politische Bezüge des Stückes kommen.
Im Kern werden die Haltungen des  Revolutionärs Marat , der bereit ist, die ehernen Gesetze des Profits, die ständig Menschenleben als Opfer fordern, mit Gewalt zu brechen und selber Blut zu vergießen – und die Haltung de Sades, der enttäuscht von allen Idealen bekennt:" Ich glaube nur an mich selbst." kontrastiert. Der diese Haltung auch konsequent auslebt,  in  direkter körperlicher Lust.

Ideale wie Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität werden mit Indifferenz betrachtet, die Vergeblichkeit allen Handels jenseits unmittelbarer Lust konstatiert.Bemerkenswert ist nicht ein Duell gleicher Argumente im Stück, sondern die Wechselwirkung,Beteiligung des Volkes, unter Anleitung von de Sade, der Marats Argumente von Irren spielen lässt.

Für mich beeindruckend nicht so sehr eine weitere Aufführung, sondern die Auseinandersetzung, die Studenten unterschiedlicher Fachrichtungen motiviert, hier mitzumachen, Studenten, die ja nach allgemeiner Lesart heute, im Gegensatz zum berühmten Mythos 68, unpolitisch sind und nur an Noten und Klausuren denken. In einem angeregten Gespräch, Einschub am Abend des Bunten-Sturm-Jubiläums, 35 Jahre, erzählt mir der Regisseur Holger Möller, dass es oft monatelange intensive Gespräche der Beteiligten gibt, dies führt zu persönlichen Veränderungen im Laufe der Zeit, dem Kennenlernen  und Überwinden von persönlichen Grenzen.Und natürlich auch Änderungen des Stückes, dieses bietet sich geradezu an für Spiel im Spiel, Parodien und Verkleidungen, wer und was ist irre im Spielplan des Lebens?

Wenn in einer mittleren Großstadt wie Bremen jedes 3.Kind Sozialleistungen braucht und jeden Tag etwa 2 Millionen € an Zinsen für Staatsschulden gezahlt werden,Einschub, an wen wohl ?, dann lohnt auch diese Auseinandersetzung.

Im Stück in Bremen lief eine Schuldenuhr, mein Vorschlag wäre, eine Reichtumsuhr dagegenzusetzen, nach dem aktuellen Bericht des Bundesverbandes deutscher Banken ist der Reichtum in Deutschland im letzten Jahr um 239 Milliarden € gestiegen.
Nach einem Zitat von Lenin,im Programmheft gedruckt, muss man, um die bürgerliche Gesellschaft zu zerstören, ihr Geldwesen verwüsten.Dies besorgt unsere Gesellschaft zu Zeit selbstmörerisch aus eigener Kraft, wieder die Frage, wer ist irre?

 

Bemerkenswert, dass 20 Jahre nach dem Fall der Mauer, die Idee des Kommunismus wieder aufkommt, dies der Titel einer Tagung vor kurzem in Berlin, die Revolution steht auf dem Spielplan, unberechenbar und unbestimmt. Die Ideen von Gerechtigkeit und Brüderlichkeit nehmen an Gewicht zu, trotz des Scheiterns der bürgerlichen und der proletarischen Revolution vor der Geschichte.

 "Was sich mir zeigte, war eine einzige Welt, und dies war regiert vom Geld, doch die es besaßen, waren nur wenige. Es zeigte sich mir, dass es galt, das Gesetz zu brechen mit Gewalt und jene zu stürzen, die dick und breit dasitzen in geheuchelter Sicherheit.Die uns erklären, die Unterschiede müssten bestehen  und der Kampf um den Profit müsste weiter gehen."
(Jean-Paul Marat) (Vor der Revolution Arzt)

Während Brecht im Stück "Der gute Mensch von Sezuan" noch die Frage, ob ein "guter Mensch" in der gegenwärtigen Welt zu leben im Stande ist oder ob die Welt geändert werden muss, deutlich beantwortet, das Publikum wird zur Änderung aufgefordert, die Götter haben sich verschlossen - hat Peter Weiss für die englische Fassung einen  Epilog geschrieben, der von de Sade vor dem Vorhang gesprochen werden sollte"

Es war unsere Absicht in den Dialogen
Antithesen auszuproben
und dies immer wieder gegen einander zu stelle
um die ständigen Zweifel zu erhellen.....
So sehn Sie mich in der gegenwärtigen Lage
immer noch vor einer offenen Frage.

Zum Schluss etwas aus zwei programmatischen Gedichten am  Ende des Bandes "Museum der modernen Poesie" eingerichtet von Enzensberger 1960.

Attila Joszef" Die künftigen Menschen.Sie werden Kraft und Zartheit sein."

Bertolt Brecht" An die Nachgeborenen"  (Auszug)
Es ist wahr:Ich verdiene noch meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts
von dem, was ich tue,berechtigt mich dazu, mich sattzuessen.
Zufällig bin ich verschont.(Wenn mein Glück aussetzt
bin ich verloren)

Man sagt mir:Iß und trink du!Sei froh,daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken,wenn
ich dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
mein Glas Wasser  einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.
Aber ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!

Wilfried Grünhagen Juli 2010