„Fräulein Jacobs funktioniert nicht
Von Louise Jacobs ist der mittlerweile dritte Roman erschienen,
diesmal in eigener Sache mit dem eigenartigen Titel:

Das Wort Fräulein ist seit Jahrzehnten nicht mehr im Alltag üblich, hier ein
Signal der Verweigerung einer herkömmlichen Rolle auf dem Weg zur Dame
in ihren Kreisen.
Bekannt wurde Frau Jacobs 2006 mit dem Familienroman und Bestseller:
„Cafe Heimat“ (siehe Archiv). Sie beschreibt sehr anschaulich ihre Herkunfts-
familien, die berühmte Bremer Kaffeerösterei Jacobs und mütterlicherseits
eine jüdische Familie aus Hamburg, die in der Nazizeit vertrieben wurde.

Seit diesem Roman wirkt Frau Jacobs als Schriftstellerin, also im Kontrast
zum Leben in einer privilegierten Milliadärsfamilie in der Schweiz, mit weltweitem
Besitz, z.B. einer Farm in Vermont (USA) und Verbindungen.
2009 erschien der Roman „Gesellschaftsspiele“, nach meinem Urteil misslungen
(siehe Archiv), sie versucht hier den Gegensatz von Künstlertum und bürgerlicher Welt darzustellen.

In diesem Roman nun beschreibt Frau Jacobs also den Ausbruch aus dieser vorgegebenen
Welt, bzw. das Nicht-Funktionieren und Versagen.
Zuerst auffällig die Legasthenie, die Lese- und Rechenschwierigkeiten, die endlosen „Schwächen“, „Therapien, „Therapieverläufe,„Massnahmen,“ „Schwierigkeiten“ bestimmen das Leben.
Die Suche nach Auswegen, das einfache Leben in der Natur, die Nähe zu Pferden,
der Wunsch Cowboy zu werden. Zeitweise lebt sie auf der Farm der Eltern, schon
privilegiert, in den grünen Hügeln Vermonts, hier findet sie Stille und Frieden.
Starke Schilderungen, wenn auch etwas idealisiert.

Dem Schulzwang, dem Leistungszwang verweigert sie sich schliesslich durch Magersucht,
eine lebensbedrohende Krankheit, wie man heute weiss.
Die Krankheit ist Ausdruck einer extremen Abwehr von Fremdbestimmung und Versuch der Selbstkontrolle. Der schwierige Weg aus dieser Misere, der Schulabbruch, die erneuten Therapien, die Versuche wieder auf eigenen Beinen zu stehen werden gut beschrieben, hier liegen die Stärken des Romans.
Manches ist banal, die Fahrt mit der S-Bahn in Berlin mit Stationsnamen.
Für die erste große Liebe müssen die Schmetterlinge im Bauch herhalten, das ist Kitsch, die Kussszenen haben wir schon hundert Mal gelesen, das kann weg bleiben.
Bleibt die Frage, ob das Schicksal einer jungen Frau aus den unteren Klassen
genau so viel Aufmerksamkeit findet, im ganzen sicher nicht, der Ausbruch aus einer
reichen Familie ist natürlich spektakulärer. Die Themen Legasthenie und Magersucht
verdienen ernsthafte Beachtung, auch in literarischer Verarbeitung.
Hoffen wir, dass Frau Jacobs als Schriftstellerin weiter gute Themen findet, also in diesem Leben funktioniert.

Wilfried Grünhagen
im kalten März 2013

„Fräulein Jacobs funktioniert nicht

Hardcover, Knaur HC
01.02.2013, 336 S.
ISBN: 978-3-426-65523-8
Diese Ausgabe ist lieferbar