Ein Bremer Mythos – Borgward

Eine Erklärung im Brockhaus lautet:
das Resultat einer sich auch noch in der Gegenwart vollziehenden Verklärung von Personen,
Gegenständen (z.B.Kunstwerken) Ereignissen oder Ideen.
Es folgt noch ein vager Hinweis auf Sinnsuche. Was ist nun das Besondere an
diesem Autobauer der 20er bis 60er Jahre, außer natürlich, dass er aus Bremen
kommt, einer Stadt, die mittlerweile arm ist, wohlgemerkt, die Stadt, und die
vom Wirtschaftswunder träumt mit blühender Industrie und Handel und zeitweise
keine Arbeitslosigkeit kannte.

Dem ist das Buch von Birgid Hanke nachgegangen:
Carl F.W.Borgward Unternehmer und Autokonstrukteur
erschienen im Delius Klasing Verlag in Bielefeld.

Zum Verständnis wird im Vorwort ein Satz angeboten. Das Lebensziel dieses
Mannes lautet: Ich will Autos bauen. Die Lebensspanne erstreckt sich vom
Pferdezeitalter (1890) bis in die 60er mit Massenmotorisierung und großen
Konzernen. Vom Kind aus armen Verhältnissen bis zum Großunternehmer
mit 20000 Beschäftigten. Und dem Ende des Imperiums mitten im Wirtschaftswunder.
Sozusagen natürliche Bedingungen für Mythen um diese Person.

Dem geht das Buch sehr ausführlich nach , der Rahmen deutscher und bremer
Geschichte, 2.Weltkrieg und Nachkrieg, die technische Entwicklung, die der junge
begabte Konstrukteur nutzt, die persönliche Seite, die besonders von engen
Mitarbeitern und der Familie erzählt wird, all das nimmt das Buch mit der
nötigen Distanz auf, ohne die eigene Faszination zu verleugnen ,
die aber Erklärungen möglich macht.

So finden wir Borgward in der NS-Zeit naturgemäß als Wehrwirtschaftsführer,
der nach Zwangspause durch die Allierten, trotz der Zerstörungen in Bremen,
schnell wieder Anschluss findet und die beginnende Motorisierung der Deutschen
bedient.
Mit sehr einfachen Konstruktionen mit Holzkarosse, aus meiner Kindheit
kenne ich den Spruch, wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd, bis zur eleganten
Isabella, die noch heute Liebhaber fasziniert, ach, die elegante Linie!

Der Mensch Borgward, ein Kind der Zeit, autoritär, patriarchalisch, beliebt
bei den Arbeitern, gefürchtet von leitenden Angestellten, in der Familie eine
Mischung aus all diesen Verhaltensweisen und Eigenschaften.

Die starke Fixierung auf Unabhängigkeit, auf Eigensinn, die man an der Person
bewundert, wird dem Großunternehmer irgendwann zum Verhängnis.
Chronische Unterfinanzierung und fehlende Absicherung führen
zum schnellen Ende des Konzerns.
Nach außen unerwartet, so dass sich sofort Legenden bilden. Verschwörung
von Neidern und Gegnern des Mannes aus einfachen Verhältnissen, dilettantisches
Verhalten des Bremer Senates. Eine rätselhafte Figur, Dr.Semler aus München,
der mit der Konkurrenz und den Banken verbandelt ist, trägt natürlich enorm dazu bei.

Frau Hanke ist diesen Vorwürfen sehr genau nachgegangen,
dazu gehört sehr viel Archivarbeit über drei Jahre, gehören sehr viele Interviews,
das Ergebnis macht eine differenzierte Bewertung des Mythos Borgward möglich.

Es gibt ein kaum bekanntes Buch von 1955, Kurt Pritzkoleit: Die neuen Herren.
Die Mächtigen in Staat und Gesellschaft.
Hier kommen Borgward und andere vor, z.B. aus Bremen Hermann Krages
oder aus Hamburg Willi Schlieker, den Werftbesitzer und Stahlhändler.
Dies sind ähnliche Typen, hemdsärmelige Unternehmer aus Gründerjahren,
die es in Zeiten des Finanzkapitals nicht mehr geben kann.
So war es eher eine Frage der Zeit, wann es zum Scheitern kam.
Vielleicht gerade deswegen,die Faszination bleibt.

Wenn man die Bedingungen von freien Autoren und kleinen Verlagen kennt, das
meint kaum Vorschüsse,wenig Werbung,keine Zeit für aufwendige Recherche,
dann kann man nur staunen.
Ein gutes Buch, das leider abrupt mit dem Konkurs abbricht, die Frage,
wie ging`s denn weiter mit den beteiligten Menschen, bleibt offen.

Wilfried Grünhagen

Carl F.W.Borgward
1. Auflage, 192 Seiten,
148 S/W Fotos,
9 farbige Abbildungen,
Format 21,5 x 24,5 cm,
gebunden, Delius Klasing
ISBN 978-3-7688-3145-1

Die Autorin Birgid Hanke während der Lesung
in der Stadtbibliothek in Bremen, rechts mit Herrn Koschnik.


Der Rezensent Wilfried Grünhagen mit der Autorin.